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liebte. Du hast die Stadt zerstört, die mich beherbergte, Du hast
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meine Suche vereitelt, mir mit Deiner Härte beinahe meine
Liebe zu Dir ausgetrieben. Diese ganze Zeit habe ich mit Dir
gekämpft, und Du nimmst die Würde meines Kampfes nicht an.
Vergleichen wir die Liste meiner Sünden mit der Deiner
Sünden, so wirst Du sehen, daß Du mir etwas schuldest. Doch,
da heute der Vergebungstag ist, vergibst Du mir und ich
vergebe Dir, damit wir gemeinsam unseren Weg fortsetzen
können.«
In diesem Augenblick blies der Wind, und er hörte seinen Engel
sagen:
»Du hast recht getan, Elia. Gott hat deinen Kampf
angenommen.«
Tränen rannen ihm aus den Augen. Er kniete nieder und küßte
den ausgedörrten Boden des Tales.
»Ich danke dir dafür, daß du gekommen bist, denn ich habe
noch einen Zweifel: Ist es nicht Sünde, dies zu tun?«
Da sagte der Engel:
»Wenn ein Krieger mit seinem Ausbilder kämpft, ist dieser dann
gekränkt?«
»Nein. Es ist die einzige Möglichkeit, wie er sich die richtige
Technik aneignen kann.«
»Dann fahre fort, bis der Herr dich zurück nach Israel ruft«,
sagte der Engel. »Erhebe dich und beweise weiterhin, daß dein
Kampf einen Sinn hat, weil du die Strömung des
Unabwendbaren zu durchqueren wußtest. Viele segeln mit der
Strömung und erleiden Schiffbruch. Andere werden zu Orten
mitgerissen, die ihnen nicht vorbestimmt waren. Doch du
bestehst die Überfahrt voll Würde, wußtest den Kurs deines
Schiffes zu kontrollieren und versuchst, den Schmerz in
Handeln zu verwandeln.«
»Schade, daß du blind bist«, sagte Elia. »Sonst könntest du
sehen, wie die Waisen, die Witwen und die Alten es
fertigbrachten, eine Stadt wieder aufzubauen. Kurz, alles wird
so werden wie vorher.«
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»Ich hoffe nicht«, sagte der Engel. »Schließlich haben sie einen
hohen Preis dafür bezahlt, daß sich ihr Leben änderte.«
Elia lächelte. Der Engel hatte recht.
»Ich hoffe, du verhältst dich so wie ein Mensch, dem eine
zweite Chance gegeben wurde: Mach denselben Fehler nicht
zweimal. Vergiß nie, wofür du lebst.«
»Ich werde es nicht vergessen«, antwortete er zufrieden, weil
der Engel zurückgekehrt war.
Die Karawanen zogen nicht mehr durch das Tal. Die Assyrer
hatten die Straßen zerstört und die Handelswege umgelenkt.
Tagtäglich stiegen ein paar Kinder auf den einzigen Turm der
Mauer, der der Zerstörung entgangen war. Sie sollten den
Horizont überwachen, um die Rückkehr der feindlichen Krieger
anzukündigen. Elia hatte vor, sie würdig zu empfangen und
ihnen die Herrschaft zu übergeben.
Dann könnte er aufbrechen.
Doch mit jedem Tag, der verging, wurde Akbar mehr ein Teil
seines Lebens. Vielleicht war seine Mission ja gar nicht, Isebel
vom Thron zu stoßen, sondern hier mit diesen Menschen bis zu
seinem Lebensende zu verweilen und demütig die Rolle eines
Dieners des assyrischen Eroberers zu spielen. Er würde helfen,
die Handelswege wieder zu eröffnen, er würde die Sprache des
Feindes lernen, und in seiner freien Zeit könnte er sich um die
stetig wachsende Bibliothek kümmern.
Was in jener Nacht in längst versunkener Zeit das Ende einer
Stadt bedeutet hatte, bedeutete jetzt die Chance eines
Neubeginns, einer Verschönerung. Die Wiederaufbauarbeiten
schlössen eine Verbreiterung der Straßen mit ein, den Bau
haltbarerer Dächer und eines kunstvollen Systems, mit dem
das Wasser vom Brunnen bis zu den entlegensten Orten
gebracht wurde. Auch seine Seele erneuerte sich. Jeden Tag
lernte er von den Alten, den Kindern und den Frauen etwas
Neues. Sie, die Akbar nur nicht verlassen hatten, weil es
unmöglich war, bildeten nun eine besonnene, kompetente
Mannschaft.
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>Wenn der Stadthauptmann gewußt hätte, wie gut und
geschickt sie sind, hätte er die Stadt anders verteidigt, und
Akbar wäre nicht zerstört worden.
Doch wenn er es recht bedachte, so stimmte das nicht. Akbar
hatte zerstört werden müssen, damit alle in sich die Kräfte
weckten, die in ihnen schlummerten.
Monate vergingen, und die Assyrer gaben kein Lebenszeichen
von sich. Akbar war jetzt beinahe fertig, und Elia konnte an die
Zukunft denken. Die Frauen hatten Stoff-Stücke gesammelt und
verarbeiteten sie zu neuen Kleidern. Die Alten kümmerten sich
um die Verteilung der Wohnungen und wachten über die
Hygiene in der Stadt. Die Kinder halfen, wenn sie darum
gebeten wurden, spielten aber ansonsten den ganzen Tag: Das
ist die Hauptaufgabe der Kinder.
Elia wohnte mit dem Jungen in einem kleinen Haus aus Stein,
das an der Stelle errichtet worden war, wo früher ein
Warenlager lag. Jede Nacht setzten sich die Bewohner Akbars
um ein Feuer auf dem Hauptplatz und erzählten die
Geschichten, die sie in ihrem Leben gehört hatten. Zusammen
mit dem Jungen schrieb er alles auf Tontäfelchen, die
anderntags gebrannt wurden, und die Bibliothek wuchs und
wuchs.
Die Frau, die ihr Kind verloren hatte, lernte auch die
Buchstaben von Byblos. Als er sah, daß sie schon Wörter und
Sätze schreiben konnte, beauftragte er sie damit, den Rest der
Bevölkerung das Alphabet zu lehren. So könnten sie, wenn die
Assyrer wiederkämen, als Dolmetscher oder Lehrer benutzt
werden.
»Das ist genau das, was der Priester verhindern wollte«, sagte
eines Abends ein Alter, der sich selbst Ozean genannt hatte, da
sein Wunsch war, eine Seele zu haben, die so groß war wie
das Meer. »Daß die Schrift von Byblos überleben und die
Götter des Fünften Berges bedrohen könnte.«
»Wer kann das Unabwendbare aufhalten?« entgegnete Elia.
Die Leute arbeiteten tagsüber, betrachteten gemeinsam den
Sonnenuntergang und erzählten sich nachts Geschichten.
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Elia war stolz auf sein Werk. Und liebte es täglich mehr.
Dann kam eines Tages ein Kind, das auf dem Turm wachte,
herbeigerannt.
»Ich habe eine Staubwolke am Horizont gesehen«, sagte es
aufgeregt. »Der Feind kommt zurück!«
Elia stieg auf den Turm und sah, daß das Kind recht hatte.
Voraussichtlich würde der Feind am folgenden Tag vor den
Toren Akbars stehen.
Er gab den Bewohnern Bescheid, daß sie heute nicht
gemeinsam den Sonnenuntergang betrachten würden, sondern
sich nach Arbeitsende direkt auf dem Platz einfinden sollten.
Als er am Abend vor die Versammelten trat, las er Angst in
ihren Augen.
»Heute erzählen wir keine Geschichten aus der Vergangenheit
und sprechen auch nicht über Akbars Zukunft«, sagte er. »Wir
werden über uns selbst reden.«
Niemand sagte etwas.
»Vor einiger Zeit leuchtete der Vollmond am Himmel. An jenem
Tag geschah, was wir alle geahnt hatten, aber nicht wahrhaben
wollten. Akbar wurde zerstört. Als das assyrische Heer
davonzog, waren unsere besten Männer tot. Die überlebt
hatten, fanden, daß es nicht lohnte, hierzubleiben, und
beschlossen zu gehen. Zurück blieben die Alten, die Witwen
und die Waisen. Das heißt, die Unbrauchbaren.
Blickt euch um. Der Platz ist schöner denn je, die Häuser sind
solider gebaut, die Nahrung wird geteilt, und alle lernen die in
Byblos erfundene Schrift. An einem Ort in dieser Stadt liegt die
Sammlung der Tontäfelchen, auf denen wir unsere Geschichte
aufgeschrieben haben, und kommende Generationen werden
sich daran erinnern, was wir geleistet haben.
Heute wissen wir, daß auch die Alten, die Waisen und die
Witwen gegangen sind. Sie haben eine Schar junger,
begeisterter Menschen allen Alters zurückgelassen, die ihrem
Leben einen Namen und einen Sinn gegeben haben.
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